Eine Reise die ist lustg … – einmal Basel und zurück

Man packe 9 Leute in einen Bus, allen voran natürlich unser Sensei Wunderle, der im Verlauf das ein oder andere Mal erwähnt wird. Unser beherzter Fahrer Günter, der sich trotz eines Navigationsgerätes, welches die Schweiz auch durch Gutes zureden nicht anerkennen wollte, noch acht Mitfahrenden allseits bereiten Kommentarlümmeln („hier lang“ – „da lang“ …), dennoch die Ruhe bewahrt hat und uns gesund und vor allem Munter nach Hause gebracht hat. Unser allseits breit grinsender Pole Stani, auf den ein Lied einiger singender Doktoren zutrifft, was für seine Mitmenschen oftmals ein peinliches Rotwerden bedeutet. Der Klaus, so wurde mir berichtet, war auch das erste Mal richtig auf einem Gasshuku, obwohl er auch in Italien angetreten ist. Soll wohl nicht immer so gewesen sein. Unsere Frau Holle, alias Bärbel, durfte zur Aufheiterung natürlich nicht fehlen. Hat sich aber gut geschlagen und jeden derben Witz mit Humor genommen. Schon doof mit uns, gell. Dann hatten wir noch den Serge an Bord. Dazu fällt mir echt nix mehr ein. Auf jeden Fall immer einen dummen Spruch auf Lager und Röcke können nie kurz genug sein. Die letzte Reihe durchzog ein Hauch von Asien. Die kompakte Yuko links von mir, die mir ihr Alter nicht verraten wollte. Rechts von mir „unser Kleiner“ Leroy (puh, was ein Glück, dass ich nicht der Jüngste war), der laut seiner Aussage schwere Zeiten in der Turnhalle mit einer Handvoll Frauen hatte. Aber ich glaube er hat sich gut geschlagen, er ist entronnen, auch wenn er wohl doch noch ein paar Tage länger diese Aufsässigen ausgehalten hätte. Und meine Wenigkeit natürlich, der eher für diesen Bericht auserwählt wurde als es einer Freiwilligkeit begründet. Hier geht der Dank an Günter, der mich letzte Woche drauf angesprochen hatte, wo denn der Bericht sei. Nun ist Pfingsten, da habe ich ja Zeit.

Tag 1:

Natürlich waren wir in Basel nicht alleine, es sind noch weitere deutsche Dojos dazu gestoßen, Königsbrunn, Schwabmünchen, Berlin und irgendjemand aus Hessen. Neben der schwarz-rot-goldenen Vertretung, die wie ich erfahren habe die größte war, waren noch Nationalitäten aus Frankreich, Schweiz (wer hätte es gedacht?), Italien, England, Japan vertreten.

Die Reise war gespickt mit körperlichen wie auch geistigen Erfahrungserweiterungen. So z.B. gleich zu Beginn mit, „der frühe Vogel fängt den Wurm“. Eine entspannte Anreise ohne Stau ist schon was Feines. Wir sind am Freitag um ca. 12 Uhr aufgebrochen. Dank unseres Zeitvorsprungs konnten wir eine ausführliche Rast bei Pforzheim machen. Leroy, der Gutscheinbogenboy, hat fleißig diese verteilt und so für alle für ein genüssliches Mahl, vor allem auch reichhaltig und günstig, beim Burger King gesorgt. Und hier haben wir schon wieder gelernt. Man kann also doch gefühlte 50 Burger essen ohne zu platzen. Aber solche Gutscheine müssen auch ausgenutzt werden. Noch schnell für die ganze Bande ein Eis und weiter geht es.

Kurz vor der Grenze mussten wir unseren Eisvorrat noch einmal auffüllen. Wobei der ein oder andere Probleme mit dem Essen hatte. Nachdem wir auch unsere französische Kolonie durchquert hatten, stand nun die verzwickte Hotelfindung auf der Agenda. Aber Dank eines fast fehlerfreien Navis und netten Auskünften der Grenzbeamten, einem kurzen Abstecher zum Flughafen Basel (was wohl zur Einschüchterung diente „Wer nicht brav ist, der Flughafen ist gleich ums Eck“) haben wir es nach ca. 30 Minuten geschafft. Und das Hotel war toll und freundlich, was man alleine am Pulk um die Rezeption gemerkt hatte. Der ein oder andere hat noch versucht, seinen Ehering ab zu bekommen. Ein Wunder, dass Stani nicht raus geflogen ist. Hier sind wir dann auch auf unsere anderen Kampfgenossen gestoßen. Die Zimmerverteilung war gut organisiert, fand ich zumindest, allen Warnungen zum Trotz.

Nach einem kurzen Frisch machen und Betten aufteilen, ist die eine Hälfte in die Stadt gezogen, die zweite Hälfte in die Turnhalle, da die freundlichen schweizer Türsteher ein gemeinsames Ausgehen verhindert hatten. Mir war es egal 🙂 Unser Sensei hat sich zwischenzeitlich verdient gemacht im Kulturaustausch der Schweiz, Japan und eben Deutschland. Sehr zu seiner Freude, wie er angemerkt hat. Jedoch nicht ohne vorher noch den ein oder anderen zu einem gewissen Kleidungsstil aufzurufen, man vertritt ja schließlich Deutschland und nicht Italien.

Während des Abendessens, bei dem es bei den meisten Anwesenden einen typischen schweizer Wurstsalat für den typischen schweizer Preis von ca. 50 Euro gab, konnten wir aufgrund des gewählten Platzes einen ersten Eindruck auf das Landleben der schweizer Einheimischen machen. Von wegen Landleben! Die haben sogar eine eigene Partystraßenbahn. Die Aussichten der männlichen Kollegen war wie das Wetter: freundlich, sonnig und warm, was sich im Kleidungsstil der Damenwelt bemerkbar gemacht hat. Nach dem dritten Bier ging es dann in eine typische Kneipe, wo wir einiges zum schweizer Bruttoinlandsprodukt beigetragen haben. Man muss zugeben, wenn man aus Augsburg nach Basel kommt, fühlt man sich als Augsburger wie ein Landjunge. Die Stadt, das Nachtleben, die Personen, wunderbar. Der erste Tag ist vorbei, und endet mit einem Schock. Stani, mein Zimmergenosse, hat den Weckdienst auf 7 Uhr gelegt. Was macht ein Mann zwei Stunden vor Trainingsbeginn? Das ist den Frauen vorbehalten. Aber Stani liegt schon im Bett, nachdem er Yuko umarmend der Gefahr der Großstadt entzog, früher ins Hotel gegangen ist. Zum diskutieren bin ich nun auch zu müde. Was erschwerend hinzukommt, diskutiere niemals mit einem halbnackten müden Danträger, wenn du selbst erst 6 Monate dabei bist.

Die Nacht war dank meiner Öhrstöpsel angenehm.

Tag 2:

Dank meiner Öhrstöpsel bekomme ich nicht mit, dass der Weckdienst schon angerufen hatte. Es sind ja noch zwei Stunden, naja, nachdem ich aufgewacht war eben noch 1,5 Stunden. Was soll´s, ist ja noch Zeit. Um 20 vor acht schiebe ich dann doch mal die Decke zur Seite, ich bin alleine, Stani hat sich zum Frühstück abgemeldet. Nachdem ich die Ruhe und den großen Platz des Badezimmers genossen hatte, öffne ich die Tür, um auch das Frühstücksbuffet zu plündern. Vor mir steht ein grinsender Stani der mir eröffnet, dass wir uns in 10 Minuten vor dem Hotel treffen und gemeinsam in die Halle fahren. Meine Mundwinkel gehen nach unten. Ups. Ich habe vergessen dass wir ja noch zur Halle hinfahren müssen, also umziehen und um 9 Uhr geht es los. Das dritte mal gelernt: Stani hat manchmal doch recht. Zwei Semmeln und 3 O-Saftgläser mehr im Magen und 10 Minuten später stehe auch ich vor dem Hotel. Hat ja noch geklappt.

Wie eine Gruppe Berliner Hauptschüler, ohne Manieren und laut Sprüche reißend, beschlagnahmen wir die Tram und fahren zur Halle, wo wir auch 20 Minuten später eintreffen. Hier ist ja richtig die Hölle los. Mir wird etwas wummrig, als ich meinen weißen Gurt anziehe und so ziemlich nur Dan-Träger erblicke. Bin ich hier richtig oder bin ich das Futter, vor allem weil man die Hälfte aufgrund ihres Dialektes nicht richtig versteht. Aber da kommt ja schon ein fröhlicher Leroy ums Eck gehopst, der mir von seiner anstrengenden Nacht erzählt. So anstrengend war sie, glaub ich, gar nicht. Mareike hat auch so einen Blick drauf. Von der Halle und der Menge an Menschen bin ich dann doch beeindruckt.  Aosaka-Sensei betritt den Raum, Ruhe und Stille kehrt ein. Ich habe ihn mir eher etwas größer vorgestellt. Er sieht etwas gebrechlich aus.

Die Vorstellung und das Aufwärmtraining gehen recht flott vorbei, meine Müdigkeit schwindet immer mehr. Ich spüre meine Gliedmaßen. Jetzt bin ich wach.

Aosaka-Sensei ist nicht zerbrechlich, das demonstriert er nachdem er seine zwei jungen Landsleute und einen Italiener (die Japaner sind auf unserer Seite, juhuu!) vermöbelt und augenscheinlich nix macht. Atemtechnik erklärt er. Ich bin froh, daß ich überhaupt atmen kann. Vermerk ans Hirn: Halte dich fern von ihm.

Ich bin nicht alleine, nachdem die einzelnen Graduierungen aufgeteilt wurden. Wir machen verschiedene Übungen mit Partnerwechsel, deren Namen ich zur Freunde meines Senseis schon wieder vergessen habe. Dabei waren aber Techniken wie „Uwauke Geri“ und „Kote Nuki“. Es war auf jeden Fall was japanisches. Bis zum nächsten Mal weis ich es bestimmt. Eine gute Information ist dabei http://kenseikai.world.coocan.jp/engindex.htm.

Wir werden zur Wissenserweiterung mit Aosaka-Sensei gerufen. Er erklärt die Bedeutung von Shorinji-Kempo und im speziellen die Bedeutung der Herz-Kompetenz. Shorinji-Kempo ist eine ganzheitliche Sportart, die sowohl den Körper und den Geist bildet. Die emotionale Komponente spielt eine große Rolle, die Bedeutung von Miteinander und Untereinander. Respekt gegenüber anderen und sich selbst, Liebe, Geduld, Fürsorge und Rücksicht spielen eine zentrale Rolle und sind für jedem richtigen Kenshi eine Lebenseinstellung.

Mittagspause: Es gibt Nudeln mit Soße (wie bei mir zu Hause) und Salat. Um den Apfelkuchen wird sich regelrecht gekloppt. Die zwei Stunden Pause tun richtig gut. Das Wetter spielt mit und der gesamte Vorplatz ist mit sonnenbadenden Leuten belegt. Wäre nicht 14 Uhr gewesen, ich glaube ich wäre eingeschlafen. Eine Runde auf der Aschenbahn sorgt für die nötigen Gedankenspiele den Altersruhesitz nach Basel zu verlegen.

Nach der dann doch zweistündig-kurzen Pause geht es für die letzten drei Stunden in die Halle zum austoben. Unsere zwei Sensei, ein Engländer und ein Schweizer mühen sich dennoch gelassen, uns das Nötigste beizubringen. Das Partnertauschkonzept funktioniert und man kommt mit allen Nationen in Kontakt. So langsam wird mir klar warum alles auf japanisch ist. Es ist einfacher eine Sprache zu kennen (die in unserem Kreis nur die Sensei beherrschten) als sich mit deutsch, „schwyzerdütsch“, italienisch, englisch und französisch zu verständigen. Mit ein paar Brocken Englisch und der weltweit gültigen Zeichen- und Handsprache schafft man das schon. Weißgurt ist eben kein Zuckerschlecken.

Nach der gefühlten 3000sten Wiederholung erklärt uns in einem gemeinsamen Kreis Aosaka-Sensei die Bedeutung des Gleichgewichts. Das sieht simpel aus und hört sich auch simpel an. Man kann jeden Kampf gewinnen, wenn man seinen Gegner aus der Balance bringt. Das sieht beim Aosaka-Sensei einfach aus. Ich fühle mich euphorisch, wenn das so einfach geht. Nur jemand ins Ungleichgewicht bringen und der fällt von alleine. Meine Euphorie wird jäh unterbrochen. Meine Gegner machen nicht das, was ich will und wollen ums verrecken nicht fallen. Warum das nun? Ungleichgewicht und gut. Pustekuchen. Es wird noch ein steiniger Weg werden. Aber das bringt mich noch nicht aus der Bahn. Ich bin ja schließlich zum Lernen hier und nicht zum Backsteine zählen.

17 Uhr, Feierabend für Heute. Ab zum Umziehen, zur Tram und ins Hotel. Heute Abend ist Großes geplant. Zum Glück habe ich meinen viertel Sonntagsanzug dabei: ein Hemd. Aber auch alle anderen sind, zu meiner Verwunderung, heraus geputzt. Wir kommen Dank unserer schweizer Führer (keine Österreicher!) und einer halben Rundreise durch ganz Basel an einer abgelegenen Straßenbahnhaltestelle raus. Huch, werden wir jetzt verkauft? Nein, nachdem wir entgegen der ersten Meinung doch erfolgreich die Dönerbude zu unser Linken passiert haben, ohne das gemeinsame Abendessen dort zu verbringen, gelangen wir in einen großen und schönen Park mit einem, wie sich später herausstellt, nicht nur sehr ansehnlichen sondern auch gut schmeckenden Restaurant raus. Wir sind da. Nur der Alleinunterhalter sieht etwas verloren aus. Da haben wir wohl etwas falsch verstanden als es hieß, es gibt Livemusik. Kommt DJ Bobo nicht aus der Schweiz?. Wie sich später noch herausstellen wird ist es Musik und auch live. Schnell werden alle verfügbaren Plätze in Beschlag genommen, begleitet mit einer Heerschar an Bediensteten, die uns zum zügellosen Weinverzehr aufmuntert. Jedenfalls stehen die alle drei Minuten da und füllen das Glas auf. Jetzt passiert etwas eigenartiges. Ein asiatischer Cowboy inklusive seiner Kofferträger betritt den Raum. Alle stehen auch. Wie auch ich dann schnell feststelle, ist das nicht ein verirrter Cowboy auch Kuhjagd, sondern es sind Aosaka-Sensei, Wunderle-Sensei, schweizer Vertreter und Übersetzer. Nun sind wir vollzählig. Mit einem gemeinsamen Zuprosten geht das Gängemenü los. Lecker ist das. Die Schweizer können auch kochen und nicht nur Käsefondue oder Raclette zubereiten. Es ist vortrefflich. Nur an die Preise muss man sich noch gewöhnen. Und auch hier gibt es Verständigungsprobleme: Jacki-Cola bekommt man Einzeln. Einmal Cola, einmal Whisky. Das ist wohl kein internationales Getränk, wie man an den Gesichtern der Bedienung erkennen kann. Nachdem die obligatorischen Geschenke, typisch schweizer 5-Kilo-Toblarone und anderweitige Kleinteile (nur der Goldbarren hat gefehlt), an die Verantwortlichen und wichtigen Gäste (ich gehörte nicht dazu) verteilt wurden, beginnt der Hauptgang. Zu uns an den Tisch gesellt sich eine munter und schief drein blickende Mareike. Typisch Schwabe. Es wird nix verschenkt, kein Tropfen Alkohol, und sei es noch so durcheinander. Das wir diese Förderung der allgemeinen Heiterkeit bei uns hatten, lag daran, dass sich unser Tischgeselle Leroy zum Tischwechsel an den Frauentisch entschieden hatte. Wie er betonte aus reich wissenschaftlichen Gründen. So bekommt Mareike wenigstens in den Genuss von zwei Nachtischen. Der Alleinunterhalter, der bisher nur wilde Schlager vor meiner Zeit trällerte, beginnt nun Forscheres zu spielen. Stani ist auf der Suche nach einem Opfer, er will unbedingt Tanzen. In der doch von Männer dominierten Sportart findet er trotz vieler Absagen eine Willige. Er entert die Tanzfläche. Alle schauen gebannt zu und rätseln, was er eingeschmissen haben könnte. So langsam kommt die Bude doch zum kochen, immer mehr Leute präsentieren Ihre Tanzeinlagen. Aosaka-Sensei schnappt sich auch ein weibliches Wesen und schwingt im Rhythmus mit. Alle machen Platz und schauen andächtig zu. Stelle dich nicht in den Weg eines Cowboys mit achtem Dan. Man hat es heute ja gesehen was passiert.

Wenig später verlassen Aosaka-Sensei und Gefolge den Saal, die werden schon wissen warum. Nun ist kein Halten mehr. Jetzt braucht man sich nicht mehr zurückhalten. Immer mehr Leute drängeln sich auf die Fläche und der Unterhalter gibt Alles. Stani zeigt uns bisher noch nie gekannte und gesehene Tanzeinlagen. Die Meute freut es, den Unterhalter auch. Die Klassiker wie WMCA werden gespielt. Man kann nun grübeln, ob es am Wein oder wirklich der Musik liegt. ACDC schallt nicht durch den Raum. Um 23 Uhr soll Schluss sein, um halb zwölf finden sich nun auch die letzten vor der Tür ein. Wir gehen gemeinsam zur Haltestelle zurück. Der Weg scheint irgendwie kürzer geworden zu sein. Während der Wartezeit erfahre ich einiges über meine Mitmenschen, was zur allgemeinen Belustigung beiträgt. Die Bahn wird geentert. Alle anderen Fahrgäste bekommen es mit der Angst zu tun. Wo sind eigentlich unsere Führer? Wir werden es auch ohne die schaffen, schließlich sind wir Entdecker und bestimmt haben zwei Leute bei der Hinfahrt schon aufgepasst. Auch dass bewahrheitet sich als Utopie. Zehn Leute steigen korrekt aus, die anderen fahren weiter (das sind die wahren Entdecker) und wie sich später herausstellt, die letzten wussten gar nicht wo sie sind, wir aber auch nicht so richtig. Leroys Magen verlangt mal wieder Nachschub, den er mit dem schätzungsweise 50sten Eis beruhigt. Der wächst halt noch. In der Tram begegnen wir unseren Feierkumpanen, jedoch ohne Gewähr auf Vollzähligkeit, was sich am nächsten Tag auch bewahrheitet. Endlich zurück im Hotel. Aufgrund meiner wahrhaft großartigen Aufstehplanung an diesem Morgen lass ich in Ruhe Stani den Wecker auf 7 Uhr stellen. Dank Ohrstöpseln ist mir das egal. Ich schlafe wie ein Stein, Hellau.

Tag 3:

Diesmal verschlafe ich nur 15 Minuten, ich bin halt lernfähig. Stani ist schon fit und munter, ich überlege krampfhaft zwischen einem gleichen Debakel wie am Vortag oder einem frühzeitigen Aufstehen. Ich entscheide mich für letzteres, was, wie sich später herausstellt, eine gute Entscheidung war. Zum Essen habe ich diesmal Zeit. Auch wenn es an der Menge nichts ändert. Gut gestärkt treffe ich alle Kenshi vor dem Hotel mit Sack und Pack. Schließlich ist heute Abreise und das Hotel muss geräumt werden. Stanis Freundin ist leider nicht da, so geht alles um einiges schneller. Auch diesmal bekommen es die Fahrgäste der Straßenbahn mit der Angst zu tun, als rund 50 Deutsche schwer bepackt die Bahn übernehmen. Geld war bestimmt keines in den Taschen. Aber wir haben auch so die Volkswirtschaft unterstützt. Nach dem Eintüten unserer Taschen in unser Reisemobil geht es in die Halle zum Umziehen. Auch hier das gleiche Bild wie gestern. Für meinen Geschmack zu viele Schwarzgurte. Vielleicht heben die sich ja das Futter für den Schluss auf. Ein möglicher Leidensgenosse fällt mir schnell in den Blick: Leroy. Laut seiner Aussage war die Nacht diesmal besser. Das lag einerseits wohl daran, dass einige der Personen sich in Basel verlaufen hatten und somit erst recht spät in die Kaserne eingelagert wurden, zum Anderen wohl, besoffen schläft es sich einfach besser, was auch Mareike bestätigt. Nur konnte der gesamte Alkohol bei ihr in der Schlafenszeit nicht abgebaut werden, was sich in Ihrer Gesichtsfarbe und einem leichten Drücken im Hirnbereich bemerkbar machte.

Das Aufwärmtraining ging wieder recht flott, entgegen der landläufigen Meinung Schweizer seien langsam. Aufgeteilt in die gleichen Gruppen wie am Vortag fällt mir recht schnell auf, es gibt die ersten Verluste. Irgendwie fehlen Zwei. Zwei Franzosen wie sich herausstellt. Die sind halt nix gewohnt ohne die Alliierten. Diesmal trainieren uns zwei bekannte Gesichter. Yuko, meine linke Nachbarin aus dem Bus, und Sensei Pyka aus Schwabmünchen. Wenigstens versteht man jetzt was. Würde man vielleicht eher, wenn es nicht wieder diese japanischen Begriffe sein würden, die ich ungefähr 2000 Mal hören müsste um sie mir zu merken. Aber das Training ist gut und macht Spaß. (Hier die Anmerkung, es hat gestern auch Spaß gemacht). Heute habe ich zwei „Erfolgstreffer“. Der erste fragt mich während der Übung (Wir üben uchi uke zuki: ich als Angreifer mache gyaku jodan-zuki, der Verteidiger uchi uke und gyaku chudan zuki), ob wir in Deutschland nicht mit Körperkontakt trainieren. Hätte er mal lieber nicht gefragt. Ich hau ihm aufs Maul weil sein uchi uke zu langsam ist. Seine Lippe dankt es ihm. Der zweite sagt mir, ich solle mal direkt in die Mitte schlagen, und nicht vorbei oder vorher aufhören. Sein Karies wird erschüttert. Hätte er mal besser trainieren sollen.

Aosaka-Sensei gibt uns einen weiteren Einblick in die Macht des Willens, der Visionen und der Gemeinschaft. Er erzählt uns von seinen Anfängen in Frankreich und seinen Unterredungen mit Doshin So, von dessen Visionen Shorinji Kempo in Europa zu etablieren, immer nach vorne zu schauen, seine Ziele nicht aus den Augen zu verlieren, nicht stehen bleiben und dabei immer Geduld zu haben, fasziniert mich. Aus dem nichts, in einem fremden Land, ohne Kontakte und Sprachkenntnisse etwas zu erschaffen was heute Tausende von Menschen in ganz Europa und in der Welt zusammenbringt, ist bemerkenswert. Und dabei hätte ich ihn gar nicht so alt geschätzt.

Wir bedanken uns mit einem „Arigato“.

Um kurz nach 12 Uhr ist das Training beendet, auch bei unseren Partnern und Sensei bedanken wir uns. Es wartet eine große Überraschung, also hurtig in die Kabinen, duschen, anziehen (frisch machen), und raus vor die Türe. Alle sind gespannt wo es hingeht, verraten wird nichts. Die ersten rätseln schon: Die Schweizer sind doch so liberal, vielleicht geht es in das Rotlichtviertel. Oder in einen Coffeeshop. Wir entern wieder die Straßenbahn, diesmal zuckt der Straßenbahnfahrer zusammen, es sind noch mehr Leute. Rund 100 schätze ich, die im Pulk jeden freien Sitzplatz besetzen. Wir fahren durch halb Basel, bestimmt ganz still und besonnen. Keiner weiß so recht wo es eigentlich hingeht. Der Frauenheld Serge entlockt einer Dame dann doch das Geheimnis. Aber es ist eh nicht mehr weit. Das Wetter ist bombig, und durch Basel fließt der Rhein. Des Rätsels Lösung: Wir machen eine Schifffahrt! Alle sind gespannt wie Bolle. Auch ich, Bootsfahren ist toll. Und es gibt auch noch Essen dazu. Jipphi. Was ein Leben. Wir werden vom philippinischen Kapitän und einigen Crewmitgliedern begrüßt. Ein eigenes Schiff nur für uns. Nobel geht die Welt zu Grunde. Alle streiten, wer ans Fenster darf und der frühe oder schnelle Vogel fängt den Wurm. Ich sitze nicht am Fenster, Stani und Serge aber. Drängler! Ich geselle mich dazu und drücke den Altersschnitt gewaltig nach unten. Nachdem alle Aosaka-Sensei inklusive Cowboyhut und Gefolge begrüßt hatten, kommen auch hier schon die ersten Bediensteten und verteilen freundlich Wasser oder Wein. Mir war vorher nicht ganz bekannt, dass Schweiz für ihren Wein berühmt ist, aber man lernt ja nie aus. Ich entscheide mich für eine 5-Euro-Cola. Also kochen können die Schweizer, auch auf hoher See. Das Essen, Salat als Vorspeise und ein unbekanntes Hauptgericht schmeicheln meinem Magen. Wir erzählen uns lustige Anekdoten und kommen irgendwie auf Impotenz und Onanie. Es ist lustig. Einige Leute jedoch scheinen an diesem Tag die Weisheit gefuttert zu haben. Oberspülen und Unterspülen ist mir wurscht. Die anfängliche Seeübelkeit unterdrücke ich zusehends mit einem Eis aus der Bordbar, dass ich vergnüglich am Sonnendeck lutsche. Wir fahren flussabwärts nach Norden, in das Zonengebiet sozusagen. Links Frankreich, rechts die deutsche Heimat. Nach, lass mich lügen, ca. 60 Minuten drehen wir um und fahren zurück. Flussaufwärts, nun ist rechts Frankreich und links die Heimat. Je nachdem wie man steht natürlich. Die Plätze auf dem Sonnendeck werden so langsam rar. Einige schlafen, einige dösen, wieder andere unterhalten sich oder erquicken sich einfach an der Landschaft. Die Anlegestelle kommt in Sicht. Schade, dass hätte noch ein bisschen so weiter gehen können.

Es gibt eine herzliche Verabschiedung unter Deck, bei dem unser Sensei Wundere entlassen wird und die Anmerkung hinterlässt, im nächsten Jahr in Deutschland werden wir das Toppen. Eine Bootsfahrt auf der Wertach? Ich hoffe, er wusste, was er sagt. Nein, wir werden es Toppen, auch wenn es super war. Die bekommen dann halt Lebkucken anstatt Toblerone oder ein Maßbierglas. Ich freue mich wirklich. Euphorisch von den Wochenende will ich gar nicht weg oder nächste Woche schon wieder her sein.

Der Pulk löst sich so langsam auf, der Trennungsschmerz hält sich in Grenzen, irgendwie war man ja doch unter sich. Wir laufen zurück zur Straßenbahn und ich unterhalte mich mit einem Schweizer, ich frage ihn unter anderem wie es seiner Lippe geht. Geblutet hat es nicht mehr. Er erzählt mir einiges über sein Dojo, dass er vorher Karate gemacht hat und versucht mich davon zu überzeugen, dass Joga kein Sport reicher, verwöhnter Frauen ist sondern doch sehr anstrengend. Es wird eine anregende und lustige Diskussion, ich bleibe dennoch bei Shorinji Kempo.

Irgendwie sind alle etwas in Lethargie und keiner will so richtig weg von dort. Neben der Halle ist ein Heim für Hirngeschädigte. Muss man dafür privat versichert sein?

Die letzte Verabschiedung und die einzelnen Dojos teilen sich wieder auf die Autos auf. Es fehlt nur die Frage nach dem Partnersystem („Ist euer linker oder rechter Sitzpartner da?“). Günter versucht gerade noch das Navigationsgerät einzuschweizern. Und los, jetzt noch tanken. Zum Glück gibt es in der Schweiz so viele und so große Tankstellen. Ich halte noch Ausschau nach einer neuen Anlage, al wir den Bahnhof erreichen. Ups, wer war da denn nicht brav? Es stellt sich heraus, dass wir zum Eintauschen unserer letzten Franken und Rappen hierher gekommen sind. Als ob in Deutschland die Schokolade rationiert ist, packt jeder erst mal fleißig diese ein. Es wird kein Rappen zurückgenommen. Mit rund 50 Gutscheinen in der Hand fragen wir uns, was wir damit wohl anfangen könnten. Immerhin springt ein Energiedrink und ungefähr 5000 Franken Rabatt je Liter Tanken. Jetzt müssen wir eben nur noch eine Tankstelle finden. Kurz die Blase entleeren und los geht es. Einfach zurück. „Einfach zurück“ versteht das Navigationsgerät leider nicht. Und auch alle anderen Eingaben. Kommentare durch die auf dem Rücksitz befindlichen Passagiere werden vom Gerät wie auch vom Fahrer ignoriert. Wer das Lenkrad hält ist der Fahrer. Punkt! Nach dem 50 „da lang“ und „jetzt links“, „Schmeiss die Tussi aus dem Auto“ oder „die schweizer Erweiterung gibt es nur gegen Aufpreis“ der Mitfahrer, erreichen wir dann doch noch ohne Tankstelle ca. eine Stunde später eine kleine schweizer Grenzstation in einem kleinen schweizer Ort. Zu verzollen haben wir natürlich nix. Wieder in Deutschland.

Die Zeit drängt. Günter tritt aufs Gas. Die Autobahn ist auch leer. Es ist relativ ruhig, das obligatorische „Sind wir bald da“ auf den Rücksitzen nach den ersten 5 Minuten auf der Autobahn darf natürlich nicht fehlen. Aber wir haben ja was vergessen, das Tanken.

Welch ein Glück dass es dort einen Gummibärchenfabrikverkauf gibt. Also wird nicht nur das Auto getankt. Das letzte Eis für dieses Wochenende wird auch verdrückt, Nummer 1840. Auch diesmal schmeckt es. Nach einer relativ kurzen Pause von nur 30 Minuten geht es weiter auf die Autobahn nach Karlsruhe. Mit Blick auf die Uhrzeit wird eindeutig zugestimmt, dass wir ohne Abendessen direkt nach Augsburg fahren. Es wir eh schon spät. Yuko muss auch zum Zug. Also keine Zeit verlieren, Günter fährt ohne Mucken durch, er hält das Lenkrad. Im Auto schlafen die ersten ein, es war wohl doch anstrengender als nur in der Sonne zu liegen. Auch ich döse weg. Wir verabschieden uns am Augsburger Bahnhof von Yuko, die mit ihren Taschen kleiner wirkt als sonst. Auf zum letzten Tankstop für heute, wo unser Klaus sich gleich ein Bier kaufen muss. Immer diese Süchtigen. Es keimt noch mal Heiterkeit auf, als die letzten Frauenwitze erzählt werden und Bärbel sich als nun letzte verbleibende Frau verzweifelt zu wehren versucht. Nun noch schnell Serge raus werfen (jaja, über mein Auto beschweren!) und der endgültig letzte Stop ist die Sammelstelle des Autovermieters. Alle anderen sind schon da, obwohl wir zuerst losgefahren sind. Die haben sicher ein schweizkonformens Navi.

Der verbleibende Rest verabschiedet sich und bestätigt, dass er fleißig zum Training kommen wird. Es ist nun fast 24 Uhr. Es war schön.

In diesem Sinne:
Bis zum nächsten Mal!

Euer Stefan Bohl

Dieser Beitrag wurde unter Augsburg (Sugakusa) veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar