Laut der Legende wanderte im 6ten Jahrhundert n.C. ein Mann namens Boddhidharma (oder jap. Daruma) über die Berge von Indien nach China und ließ sich in der Liang-Provinz nieder um Buddhismus zu lehren. Der Provinzfürst Wu Di, der ebenso wie Boddhidharma die Lehren Buddhas studierte, verbannte ihn jedoch bald aus Liang; denn im Gegensatz zu Wu Di, dessen Buddhismus hauptsächlich Erlösung in einem Leben nach dem irdischen versprach, beruhten die Lehren Boddhidharmas auf Meditation und der Übung intuitiver Fähigkeiten. Boddhidharma setzte seine Reise fort und ließ sich schließlich bei dem Shaolin-Kloster, nahe dem Berg Hao-shan, heute die Hunan-Provinz in China, nieder. Hier legte er den Grundstein für den Buddhismus, der als chan– oder zen-Buddhismus (jap.) bekannt werden sollte. Boddhidharmas wichtigste Übung war die sitzende Meditation und diese wurde von seinen Schülern auch eifrig praktiziert. Jedoch schwächten die langen Mediationssitzungen seine Schüler sehr und Boddhidharma beschloss als Ausgleich Kampftechniken zu unterrichten, die er in Indien gelernt hatte. Mit der Zeit stellte sich heraus, dass die Kampftechniken eine ebenso gute Übung waren wie die sitzende Meditation und wurden bald das wichtigste Element der Ausbildung. So wurde das Shaolin-Kloster in der ganzen Welt berühmt.
In Shaolin gibt es einen Raum mit einem großen Wandbild, auf dem indische und chinesische Mönchen lächelnd und freundschaftlich mit einander üben. Diese Zeichnung sollte später die Inspiration werden, Shorinji Kempo die Form zu geben, die es heute hat.
Entstehung und Entwicklung in Japan
Shorinji Kempo wurde 1947 von So Doshin in der kleinen Stadt Tadotsu gegründet. So Doshin wird in Shorinji Kempo auch häufig als kaiso (jap. Gründer) bezeichnet.
So Doshin wurde 1911 in Japan geboren und verbrachte einen Großteil seiner Jugend bei seinem Großvater in der Mandschurei in China (heute Dongbei Provinz oder Nordostchina). Bereits sein Großvater war bekannt für sein budo (Kampfkunst). Besonders kendo (Schwertkampf), sojutsu (Speerkampf) und jujutsu (waffenlose Selbstverteidigung) gehörten zu seinen Spezialitäten. Wann immer er Zeit hatte, unterrichtete er So Doshin.
Als junger Mann, zwischen 1928 und 1946, arbeitete So Doshin in China für den japanischen militärischen Geheimdienst. Verkleidet als taostischer Mönch reiste er zunächst in Begleitung eines Lehrers namens Chen Liang. Dies war So Doshins erster Kontakt mit den buddhistischen Lehren. Da Chen Liang ebenso ein Lehrer chinesischer Kampfkünste war, begann er So Doshin auch in diesen zu unterrichten. Einige Zeit später lernte So Doshin Meister Chens Lehrer kennen, den berühmten Wen Taizong, einen ehemaligen Shaolin-Mönch. Mit Chen Liangs Fürsprache wurde So Doshin schließlich Schüler Meister Wens und wurde in Folge dessen 1936 im Shaolin Kloster zum Großmeister der 21ten Generation der Shaolin Giwamonken Schule geweiht.
Während und nach Ende des Zweiten Weltkrieges musste So Doshin viel Elend und Not mitansehen. China unter japanischer und später sowjetischer Besatzung und das besiegte Japan wurden für ihn zu Schlüsselerlebnissen.
Er selbst sprach folgendermaßen darüber:
“Am eigenen Leib erfuhr ich die Härte internationaler Politik. Macht schien die einzige Gerechtigkeit zu sein, und der Staat und das Interesse der Nation bekamen Vorrang vor Ideologie, Religion und Moral. Während dieser Zeit machte ich die wertvolle Erfahrung, dass die Ausübung des Rechtes, das Militär und die Regierung nicht einfach durch ideologische und religiöse Unterschiede bestimmt sind, sondern entscheidend durch den Charakter und die Denkweise der Menschen in diesen Machtpositionen. Hierdurch änderte sich meine Sicht auf die Welt und ich erkannte ein bestimmtes Ziel für meinen weiteren Lebensweg. – Der Mensch, der Mensch, der Mensch. Alles hängt von der Qualität des einzelnen Menschen ab.“
Aus der Überzeugung heraus, dass die Philosophie Buddhas den besten Weg für ein menschliches und menschenwürdiges Leben zeigt, beschloss er die Lehren Buddhas zu unterrichten.
Der zu dieser Zeit in Japan verbreitete Buddhismus legte den Schwerpunkt auf Zeremonien und das Singen von Sutras. Nicht selten wurde er benutzt um den Gläubigen für derartige Dienstleistungen Geldf abzunehmen. In So Doshins Augen gab es in Japan keine einzige buddhistische Gruppe, die Buddhas Lehren im Einklang mit ihrem eigentlichen Ziel unterrichtete.
Für ihn jedoch beinhalteten diese Lehren den Schlüssel zu geistigem Frieden und körperlicher Zufriedenheit. Dies war der Weg den er unterrichten und durch den er seinen Landsleuten helfen wollte.
Es sollte sich jedoch als schwierig herausstellen die Menschen und besonders die jungen Leute für seine Lektionen zu begeistern und die wenigen, die kamen, blieben nicht lang. Doch gerade die Jugend Japans hielt in seinen Augen den Schlüssel zur Zukunft des Landes in den Händen. Sie wollte er zu rechtschaffenden Menschen zu erziehen, die geistig und körperlich stark die Gerechtigkeit verfechten und beschützen würden, um so eine bessere Gesellschaft aufzubauen. Bald also erkannte er, daß er etwas anderes brauchte um das Interesse der Leute zu wecken und auch wachzuhalten.
Die Antwort kam So Doshin nachts in einen Traum. Er würde zen-Buddhismus und Kampfkunst zusammen lehren, ebenso wie Boddhidharma es in dem Shaolin-Tempel in China getan hatte. Also begann er die verschiedenen Techniken, die er im Laufe der Zeit gelernt hatte, in einem System zu organisieren und zusammen mit seiner Philosophie zu unterrichten. Er nannte diese Lehre shorinji kempo (shorinji = jap. Shaolin, kempo = jap. Weg/Gesetz der Faust).
So entwickelte und etablierte So Doshin zwischen 1947 und 1950 Shorinji Kempo als religiöse Gemeinschaft und Kunst der Selbstverteidigung in Tadotsu, einer kleinen Stadt auf Shikoku*. Bis zum heutigen Tag ist Tadotsu der Sitz des shorinji kempo hombu (Hauptsitz der von Shorinji Kempo-Organisation).
* die kleinste der vier großen japanischen Inseln
1951 wurde die Gemeinschaft offiziell als religiöse Organisation unter dem Namen kongo zen sohonzan shorinji anerkannt, wobei kongo zen den zen-buddhistischen Überbau der Shorinji Kempo-Philosophie bildete. Obwohl keine Religion im eigentlichen Sinne wurde Shorinji Kempo als religiöse Gemeinschaft registriert, nicht zuletzt um das von der amerikanischen Besatzung auferlegte Verbot von bushido (wörtl. Weg des Kriegers) zum umgehen.
Im Laufe der 50er Jahre etablierte sich Shorinji Kempo weiter als Organisation und begann schnell zu wachsen. Es fanden erste öffentliche Vorführungen statt und embu taikais (Wettkämpfe innerhalb Shorinji Kempo) wurden organisiert. Während der 60er Jahre rückte Shorinji Kempo immer weiter ins Licht des öffentlichen Interesses und es wurde in verschiedenen Zusammenhängen im Fernsehen über Shorinji Kempo berichtet. All dies half erheblich die Bekanntheit und Verbreitung von Shorinji Kempo zu steigern.
1963 wurde die shadan hojin nihon shorinji kempo renmei (die Gesellschaft der Japanischen Shorinji Kempo-Organisation) gegründet, die später in die zaidan hojin shorinji kempo renmei (Stiftung der Shorinji Kempo-Organisation) überging.
Immer wieder hielt So Doshin seine Schüler dazu an Shorinji Kempo auch ins Ausland zu tragen. Zu den ersten Ausgründungen außerhalb Japans gehörten u.a. Dojos in Schweden, England, Frankreich und Deutschland. Etliche seiner Schüler leben und unterrichten heute in z.B. Europa, den USA, Australien, Kanada und Südostasien (in Indonesien existiert heute mit ca. 40000 Mitgliedern die zweitgrößte Shorinji Kempo Organisation nach der japanischen).
1974 entstand schließlich die shorinji kempo sekai rengo (Shorinji Kempo-Weltorganisation, WSKO) als Dachorganisation aller nationalen Shorinji Kempo-Verbände weltweit.
1980 starb So Doshin und seine zu diesem Zeitpunkt 24-jährige Tochter Yuuki So übernahm den Vorsitz der WSKO.
Heute gibt es etwa 2850 Shorinji Kempo-Schulen in Japan und Shorinji Kempo wird in 34 Ländern weltweit unterrichtet und wächst nach wie vor.